Pelzig stellt sich der kognitiven Dissonanz
Zwei Dinge stellt Erwin Pelzig gleich zu Anfang im
ausverkauften großen Saal des Tollhaus fest: dass er
bedauert, dass es 7 Jahre gedauert hat, bis er wieder nach
Karlsruhe gekommen ist und dass er froh ist, mal wieder auf
einer richtigen Bühne steht, nachdem er sich in den letzten
Jahren doch mehr seiner Fernsehkarriere gewidmet hat. Für
mich ist es 10 Jahre her, dass ich Erwin Pelzig zum ersten Mal
live gesehen habe (2002 ebenfalls
im Tollhaus) und ich war gespannt, ob es ähnlich
genial wie vor 10 Jahren werden sollte.
Eines von Erwin Pelzigs Themen war die "kognitive Dissonanz",
laut Wikipedia der als unangenehm empfundenen
Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch
mehrere Kognitionen hat – Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen,
Einstellungen, Wünsche oder Absichten –, die nicht
miteinander vereinbar sind, also eine Art von
„Störgefühl“. Laut Pelzig leidet darunter so ziemlich
jeder, was dazu führt, dass man sich seine eigenen
Entscheidungen schön redet. Klar, dass Pelzig hier von
privaten Themen, wie dem Autokauf leicht den Bogen zur aktuellen
Finanzkrise bekommt und erläutert, wie sich auch hier alle
die Lage und die Entwscheidungen schön reden. Pelzig macht
dies in seiner unnachahmlichen Mischungs aus Bauernschläue,
philosophischen Betrachtungen und sich in Rage redender
"Wutbürger".
Dabei bezieht er das Publikum direkt ins Programm ein: 500 Lose
wurden zum Einlass ans Publikum verteilt um zu testen, ob es
wirkklich so schlimm wäre, wenn wichtige Ämter nicht
mehr per Wahl, sondern durch Losglück bestimmt werden
würden und so wurde an diesem Abend ein neuer
Wirtschaftsminister bestimmt (der dann einen Umschlag mit seinem
Eintrittsgeld erhielt), und eine neue Bundespräsidentin
(die keinen Umschlag erhielt, da dies nach Wulff nicht mehr
möglich sei). Auch wieder mit dabei: Pelzigs
Stammtischfreunde, der konservative Dr. Göebel und der
prollige Hartmut und wie vor 10 Jahren ist es faszienierend wie
Pelzig teilweise miten im Satz diese 3 unterschiedlichen Figuren
mittels Stimme und Mimik zum Leben erweckt. Durchaus
selbstkritisch setzt sich dabei Pelzig auch mit der Frage
auseinander, ob nicht nur die Politiker korrumpierbar sind,
sondern auch er selbst durch sein vermehrtes Fernsehengagement.
Und besonders gut wird es, wenn diese 3 Kunstfiguren zeigen, wie
sich die Meinung von Dr. Göbel zum Thema Anonymität im
Internet, die von Pelzig und Hartmut zunächst abgelehnt
wird, nach ein paar Wendungen plötzlich von diesen
übernommen wird, sobald sie selbst betroffen sind. Genial!
Überhaupt nimmt sich Pelzig den unterschiedlichsten Themen
an, schaftt es aber immer wieder, diese miteinander zu
verbinden, sodass sich die mehreren roten Fäden letzten
Ende zu einem Strang verbinden. Dabei hat Pelzig auch seine
Hausaufgaben gemacht und die aktuellen Themen, die die
Karlsruher derzeit beschäftigen (U-Strab und OB-Wahlkampf)
geschickt in sein Progarmm eingebaut.
Bis zur Pause vergehen 78(!) Minuten wie im Flug und man
staunt, wie Pelzig redet und redet und redet und es nie
langweilig wird. Insgesamt werden es (mit Pause) ca. 3 Stunden.
Zugaben gibt es bei Plezig generell nicht, aber für einen
netten Abschlussgag kommt er doch noch einmal auf die Bühne
und verliest eine fiktive Spiegelonline Meldung, wobei der neue,
an diesem Abend durch Los bestimmte Wirtschaftsminister der
Bestechlichkeit wegen der Annahme eines Umschlags mit Geld
überführt wurde. "Viel Spaß mit der
Straßenbahn noch" wünscht Pelzig und dann endet
ein grandioser Abend.