Calw rockt mausert sich langsam zu einem meiner
Lieblingsfestivals. Die Location ist sicherlich einmalig in
Deutschland: wo sonst stellt eine historische Altstadt ihren
Marktplatz umrahmt von jahrhundertealten Fachwerkhäusern zur
Verfügung um Platz und Zeit für ein Rockfestival zu bieten? Nach
meinem ersten Besuch 2002, bei
dem es mir zu voll war hat sich dieses Jahr bestätigt, was ich auch 2010
erleben konnte: Platz und Organisation sind jetzt prima - allein
die Location macht schon mal Spaß, spiele, wer wolle :)
Dieses Jahr spielte bei hochsommerlichen Temperaturen um 38 Grad
Celsius zunächst Ray Wilson, dem irgendwie letzten Sänger von
Genesis nach dem Ausstieg von Phil Collins, bevor Phil Collins
für eine Tour wieder zu Genesis zurückkehrte. Die Zusammenarbeit
von Ray Wilson und den verbliebenen Genesis Mitgliedern Mike
Rutherford und Tony Banks führte zum letzten Studioalbum von
Genesis "Calling all station" von 1997 und einer Tour und so war
ich irgendwie skeptisch, ob mir Ray Wilsons "Genesis Classics"
Konzept gefallen würde, denn das ganze Konzept sieht ja eher
nach Genesis Tribute Konzert aus. Los ging es dann mit "Turn it
on again", gefolgt von vielen Genesis Songs aus den 80gern, für
die Phil Collins verantwortlich zeichnete, Phil Collins
Solo-Songs ("Another day in paradise"), ein Mike Rutherford Solo
Erfolg ("All I need is Miracle") und auch Peter Gabriel wurde
mit "Solsbury Hill" bedacht. Also zunächst also wirklich eine
Genesis Tribut Show, die aber vom symphatischen Ray Wilson und
seiner 7-köpfigen Band für gute Stimmung sorgte, auch wenn der
Sound am Anfang schrecklich war, sich aber besserte. Höhepunkt
der ersten Hälhte: "Carpet Crawlers". In der zweiten Hälfte der
Show merkte man aber, dass dem guten Ray eine reine Genesis
Tribute Show auch nicht reicht und so streute er eigene Songs
seiner Post-Grunge Band "Skiltskin" ein, wie "American Beauty"
und dem Post-Grunge Klassiker "Inside". Mit Genesis Songs wurde
die Show dann beendet und hier konzentrierte er sich nicht auf
die Big-Hits sondern spielte 2 Songs vom letzten Genesis Album,
auf dem er ja auch zu hören ist, nämlich "Congo" und "Calling
All Stations".
Nach Ray Wilson und einer Umbauspause ging es dann kur nach 22
Uhr mit Rodger Hodgson und Band weiter. Also eine weitere
Tribute Show, nur diesmal also für Supertramp? Nun, hier ist die
Situation fast spiegelverkehrt zu Ray Wilson. Auch wenn
Supertramp noch immer unter diesem Namen tourt, ist Supertramp
eigentlich Rodger Hodson, der Supertramp 1983 verließ und nicht
nur all die großen Hits geschrieben hat, sondern durch seine
hohe Tenorstimme natürlich massiv geprägt hat. Faustregel: will
man alte Supertramp Hits so hören, wie man sie kennt, sollte man
ein Roger Hodson Konzert besuchen, kein Supertramp Konzert.
Los ging es auch mit einem meiner Lieblingssongs vom "Breakfast
in America" Album, "Take the long way home": Schon bei der
Mundharmonika am Anfang bekommt man Gänsehaut und man staunt,
wie gut Roger's Band den "klassischen" Supertramp Sound
hinbekommt, inklusive 70ger Jahre Schlagzeug Sound. Und so ging
es dann zunächst weiter: Hit reihte sich an Hit (School,
Dreamer, The Logical Song...) unterstützt von einer grandiosen
Lightshow und einer wirklich exzellenten Band, bei der
Multinstrumentalist Aaron McDonald besonders hervorzuheben ist.
Aber der extrem tiefenentspannt wirkende Roger spielte auch
Songs von seinen Soloalben, sowohl die Hits, die er Solo hatte
("Had a dream", "In jeopardy"), als auch unbekanntere Sachen vom
letzten Solo Album "Open the door"), das jetzt auch schon 15
Jahre alt ist. Das Publikum hatte Spass, die Band auch, sodass
zum Ende des Konzerts auf Roger Hodsons Wunsch das Publikum
"Happy Birthday" für den Sohn des Bassisten anstimmte, dieser
(der Bassist, nicht der Sohn) alles filmte und seinem Sohn nach
Los Angeles schickte. Zum Finale dann natürlich 2
Mitsing-Klassiker: "Give a litle bit" und das thematisch an
diesem heißen Sommertag gänzlich unpassende "It's raining
again".
Fazit: Klar - für mich war das Nostalgie pur: 1979 hattee ich
Supertramp auf ihrer "Brekfast in America" Tour in der Kölner
Sporthalle gesehen - eines meiner ersten Konzerte überhaupt und
nun, 36 Jahre später erlebe ich ein weitgehend identisches
Konzert. Aber 2 Sachen gingen mir nicht mehr aus dem Kopf: wie
gut manche Texte von Roger Hodson waren und sind: hört man sich
"Take the long way home" oder "The logical Song" mal genauer an,
fragt man sich, wie sich der damals Mitt- bis Endzwanziger Roger
Hodson sich in Situationen versetzen konnte, die eher 40-50
Jährige beschäftigen. Und zum anderen die Frage, wieso so wenig
Neues Material von einem solch begnadeten Songwriter zu hören
ist.