Momentaufnahmen
Eine gute Idee ist das: statt einer normalen Lesung aus seiner
Autobiographie verfährt Wolfgang Niedecken so, wie er es auch mit
Bob Dylans "Chronicles" gehalten hat: einen Teil lesen, dann einen dazu
passenden Song singen, dann wieder lesen und so weiter. Doch bevor es
kurz nach 19 Uhr im großen Saal des Tollhauses damit los geht,
betrat zunächst Co-Autor Oliver Kobold die Bühne und
kündigte sich augenzwinkernd als Vorwort an. "Man solle nur
über Menschen schreiben, die man mag" zitierte Oliver Kobold einen
anderen Autor, und dies sei für ihn in diesem Fall nun wirklich
kein Problem gewesen. Schön beschrieb er, wie als damals 12
Jähriger 1982 BAP in sein Leben trat und ihm das Lied
"Hundertmohl" vom ersten Live-Album damals und auch später Ansporn
gewesen sei, zu schreiben.
Nach der Einleitung ging dann die Lesung los. Klar, dass man die
über 500 Seiten nicht an einem Abend komplett vortragen kann und
so beschränkte sich Wolfgang Niedecken auf Momentaufnahmen aus
seinem Leben. Und wie im Buch geht er dabei nicht chronologisch vor,
sondern beginnt mit der Zeit, als er Kunst studierte und er nebenbei
mit ein paar Kumpels einmal die Woche musizierte. Passender Song dazu
natürlich "Helfe kann dir keiner", der erste Song in kölsch,
den Niedecken geschrieben hat. Weiter geht es mit einem Sprung
zurück in die Kindheit ("Chippendale Desch") und dann findet man
sich plötzlich bereits im Jahr 1987 wieder, als er mit den
Komplizen das überaus erfolgreiche erste Solo-Album
veröffentlichte ("Maat et joot"). Und so geht es weiter bis ins
heute, zu seinem Engagement für ehemalige Kindersoldaten in Afrika
("Noh Gulu") und Songs vom brandneuen BAP Album "Halv su wild"
("Verjess Babylon").
Die Mischung macht es meist, und die war bei Wolfgang Niedecken an
diesem Abend goldrichtig. Ernste Themen wechselten sich mit lustigen
Anekdoten ab, wie zum Beispiel der Geschichte über die Ameisen,
die sich von den "lustigen Keksen" auf dem Mischpult der zu einem
Studio umgebauten alten Villa auf Mallorca angezogen fühlten und
hinterher Probleme haben, wieder zurück zu finden. Da musste auch
BAP Schlagzeuger Jürgen Zöller, der an diesem Abend auch im
Publikum saß, lauthals lachen - so laut, dass Niedecken in dann
gleich begrüßte. Philosophische Gedanken wechselten sich mit
an Rock 'n' Roll Klischees grenzende Stories über das Zerlegen,
pardon- die Umgestaltung von Hotelzimmern ab.
Und so vergingen 3 Stunden wie im Flug, nichts desto trotz gab es
noch Zugaben: "Verdamp lang her" in einer schönen akustischen
Fassung und ganz zum Schluss dann das eingangs erwähnte
"Hundertmohl". Niedecken kann gut erzählen und vor allem: er hat
etwas zu erzählen - sei es in seinen Songs, oder wie an diesem
Abend, mit "Für 'ne Moment", seiner Autobiographie.